Mikroplastik – unsichtbare Hypothek?

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Anlässlich des Wissenschaftscafés «Mikroplastik – unsichtbare Hypothek?» tauschten sich am Donnerstag, 23. September 2021 Expert:innen und Publikum im Café B12 über die Herkunft und Folgen für Natur und Mensch von Mikroplastik aus. Fazit: Zu den gesundheitlichen Risiken von Mikroplastik gibt es erst wenige Studien, sie werden von der Expertenrunde heute aber als recht gering eingestuft. Es ist jedoch unbestritten, dass der Eintrag von Mikro- und Nanoplastik in die Umwelt zu reduzieren ist.

Die Veranstaltung der Reihe «Wissenschaftscafé Graubünden» war bestens besetzt; rund 30 Teilnehmer:innen verfolgten interessiert die Diskussion des hochkarätigen Expertengremiums, moderiert durch Barbara Haller Rupf, Geschäftsleiterin der Academia Raetica. Nach dem Warm-up, bei welchem die wichtigen Themenfelder umrissen wurden, entwickelte sich ein spannender Dialog zwischen den Expert:innen von CSEM Landquart, dem ETH-Bereich mit Eawag und Empa, der Universität Zürich und dem Publikum. Ebenfalls auf dem Podium waren zwei Bündner Jungforscherinnen, welche 2020 zum Thema Mikroplastik in Davos und im Engadin hervorragende Maturarbeiten verfasst haben.

Das Positive zuerst

Die positiven Botschaften zuerst: Mikroplastik - von der Grösse vergleichbar mit Sandkörnern - schädigt in der Schweiz und in Europa nach heutigem Wissensstand aufgrund der aktuell niedrigen Konzentrationen Umwelt und Menschen nur in Einzelfällen. Zudem ist Plastik per se nicht giftig, eine Problematik geht unter anderem aber von den chemischen Zusatzstoffen aus, wie beispielsweise den Weichmachern. Dank effizientem Abfallmanagement und bewährtem Kläranlagensystem ist die Schweiz zudem einer der weltweit am wenigsten verschmutzen Plätze. Trotz dieser positiven Zwischenbilanz sind sich die Experten einig, dass der Eintrag von Mikroplastik in die Umwelt hier und global reduziert werden sollte durch Wiedergebrauch und Recycling von Plastik, durch seine Vermeidung und durch die Entwicklung besserer Materialien.

90% stammt von Pneuabrieb

In der Schweiz ist der grösste Anteil des anfallenden Mikroplastiks eigentlicher Mikrogummi, der vom Abrieb der Autopneus stammt. Von der Strasse gelangt das Mikrogummi über die Strassenabwasser-Behandlungsanlagen SABA in die Kläranlagen, welche 95 bis 98% der Partikel fachgerecht über die Schlammverbrennung eliminieren. Allerdings werden SABAs bis heute vor allem entlang von stark befahrenen Autobahnen installiert, in Graubünden fehlen sie noch weitgehend, wodurch hier der Pneuabrieb meist in die Umwelt gelangt. Primärer Mikroplastik in Kosmetik- und Reinigungsprodukten wie Peelings oder Zahnpasta sind bis heute bereits stark reduziert worden. Der Fokus liegt auf dem sogenannten Sekundären Mikroplastik, der durch Abrieb oder Zerstörung von Fasern entsteht, beispielsweise beim Waschen von Funktionskleidern oder durch den Zerfall grösserer Plastikstücke wie Petflaschen, Plastiksäcke oder Styropor.

Es regnet und schneit Mikroplastik - überall

Neben der Verbreitung von Mikroplastik durch die Oberflächengewässer, wird das Material Saharastaub gleich vor allem auch durch den Wind transportiert. Wegen der globalen Windsysteme ist Mikroplastik ausnahmslos überall auf der Erde anzutreffen. Schneit es in Davos oder in der Arktis, wird die Luft durch die stark verzweigten Schneekristalle von Mikroplastik reingewaschen, erklärt Selina Bebi dem Bündner Publikum. Dieses lauscht denn auch interessiert dem Toxikologen Michael Arand, der ausführt, dass Mikroplastik überall vorkommt, auch im Magen von Menschen und Tieren.Verschiedene Rückhalte- und Reinigungsmechanismen sorgen aber dafür, dass die langlebigen und deshalb für uns unverdaubaren grösseren Mikroplastik-Partikel wieder ausgeschieden werden. Über Schäden, welche die kleinsten und über die Luft eingeatmeten Nanoartikel in der Lunge anrichten können, besteht allerdings noch Unsicherheit.

Messen um zu wissen

Herkömmlich wird Mikroplastik gemessen, indem Boden-, Luft- oder Wasserproben aufbereitet, mikroskopiert und mittels Spektroskopie einem Material zugeordnet werden. Anna Sidonia Marugg gewann ihre Wasserproben mit Hilfe eines Spezialfilters, den sie mit dem Kajak durch die Engadiner Seen ziehen konnte. Es gelang ihr erstmals aufzuzeigen, dass im Inn vom Quellsee bis nach Samedan überall Mikroplastik vorkommt. Mit der Entwicklung von speziellen Messgeräten befasst sich Loïc Burr am CSEM in Landquart. Mittels Lasertechnik werden Art und Grösse von Mikroplastikpartikeln bestimmt und das Ziel verfolgt, möglichst kleine und trotzdem präzise Analysegeräte zu entwickeln.

Die gesamte Ökoblilanz im Auge behalten

Trotz der Problematik rund um Mikroplastik, die er aus verschiedensten Blickwinkeln erforscht hat, bricht Bernd Nowack eine Lanze für den Kunststoff: «Alle Kleider aus Baumwolle zu produzieren wäre eine globale Katastrophe und viel belastender für die Umwelt als Plastik.». Es sei die gesamte Ökobilanz, die zähle, und diese sei für Plastik nach wie vor in den meisten Fällen besser als bei vielen Naturmaterialien, die unter hohem Energie- und Wasseraufwand produziert und transportiert würden.

Reaktionen aus dem Publikum

Die Aussagen der Experten wurden vom Publikum zum Teil mit Erstaunen aufgenommen. Erfreulich, dass sich auch ein Vertreter von Klimastreik Graubünden zu Wort meldete und die wissenschaftsbasierten Ausführungen reflektierte. Ein 87-jähriger ehemaliger Industriearbeiter erzählte von seinen Erfahrungen mit verschiedenen toxischen Materialien, die ihn gesundheitlich bleibend schädigten. Toxikologe Arand bestätigte und fügte aber auch an, dass heute die Verwendung gefährlicher Arbeitsstoffe aufgrund stark verbesserter gesetzlicher Vorgaben und Schutzmassnahmen unter Bedingungen erfolgt, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Arbeitnehmer weitestgehend ausschliessen.

Muss es immer toxisch sein, bevor wir Menschen reagieren?

Bis Mikroplastik für uns Menschen gesundheitlich gefährlich wird, müsste die heutige Konzentration um den Faktor 1 Million zunehmen. Dies sei einerseits beruhigend, aber «Muss etwas toxisch sein, um den Umgang damit zu reglementieren?» fragt Ralf Kägi. Zentral scheint das Umdenken sowohl von Produzenten als auch von Konsumenten: Plastik ist extrem langlebig sollte deshalb nicht mehr als Wegwerf-Material eingesetzt werden. In der Schlussrunde sind sich die Experten einig, dass Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft im Laufe der nächsten zehn Jahre Lösungen finden werden, im Sinne der Drei-R-Regeln «reduce, reuse, recycle», also reduzieren, mehrfach benützen und wiederverwerten.

Die Stiftung Sience et Cité fördert mit der Veranstaltungsreihe der Wissenschaftscafés zu aktuellen Themen den Dialog zwischen Wissenschaft und Bevölkerung. Weitere Informationen zur Veranstaltungsreihe in Graubünden unter Wissenschaftscafé Graubünden.

Die Academia Raetica mit Sitz in Davos ist die Vereinigung zur Förderung von Wissenschaft, Forschung und Bildung im Kanton Graubünden und seiner Umgebung. Zu ihren Mitgliedern zählen über zwanzig Forschungsinstitute, Hochschulen und Kliniken. Sie wurde 2006 gegründet mit dem Zweck, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, ihre Mitglieder miteinander zu vernetzen und deren Interessen in der Politik und Öffentlichkeit zu vertreten.

www.academiaraetica.ch

Podium aus Sicht der Moderatorin Barbara Haller Rupf, Academia Raetica mit Prof. Dr. Bernd Nowack, Empa; Selina Bebi, Davos; Anna Sidonia Marugg, Zuoz; Dr. Ralf Kägi, Eawag; Prof. Dr. Michael Arand, Universität Zürich und Dr. Loïc Burr, CSEM.

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